Rezensionen
Recensioni
Jean Joseph Keller,
Gefundenes und Erfundenes - Zu
Radierungen von Eva Aulmann
mit 9 Abbildungen
in: Graphische
Kunst, Internationale Zeitschrift für Buchkunst und Graphik
Neue Folge: Heft 2/2009
How Eva Aulmann came to join the Art Academy of Florence has
been described by Vairo Mongettiin the 48/1 edition of the
„Graphische Kunst". In the 58/1 edition Eva Aulmann herself
explained herway of working. In the beginning she produced
perfect etchings not only with respect to composition but also
concerning the technique. In the meantime the character of her
work has changed. She improvises very freely - figures and
persons drawn without model which means: freely invented. There
are also small ex-libris very individual inventions.
I primi passi nella Grafica di Eva Aulmann sono stati
descritti nel numero 48/1 della „Graphische Kunst" dal Prof.
Vairo Mongatti. Nel numero 58/1 è l'artista stessa a descrivere
il proprio modo di lavorare. II suo primo periodo durante gli
studi all´Accademia delle Belle Arti e caratterizzato da motivi
più classici eseguiti con la tecnica rigorosa dell'acquaforte.
Cambia dopo gli studi con un modo più libero di lavorare sia
nella tecnica, dove comincia a sperimentare, ehe nei motivi
scelti, dove la figura umana nelle sue espressioni più vari
diventa il motivo più frequente.Nel suo opus si distinguono
anche i piccoli formati, gli Ex libris, di eccellente fattura
per la loro individualità.
Wie es war, als Eva Aulmann zur Kunstakademie nach Florenz kam,
hat Vairo Mongatti
1997 in lebendiger Weise im Heft 48 der GRAPHISCHEN KUNST
geschildert und sie selbst
hat ihren Weg zur Kunst der Radierung 2002 in Heft 58 der
Zeitschrift detailliert beschrieben.
Dieser Beschreibung verdanken wir einen präzisen Einblick in
ihre Arbeitsweise, die sich
seit den erstaunlich meisterhaften Anfängen sehr gewandelt hat.
Sie reicht von der peniblen
Anwendung der Techniken des Radierens als auch der
professionellen Vorbereitung und
Behandlung der Druckplatten bis zu Eva Aulmanns heutigem, freien
Umgang mit dieser
Materie.
Eine der Voraussetzungen hierzu ist sicherlich auch die
Tatsache, dass die Radierung als Mit-
tel zur Information über Geschehnisse und Abläufe und zur
Darstellung und Vermittlung
von Kenntnissen durch andere, moderne Medien abgelöst wurde und
sie somit mehr oder
weniger zu einem puren Medium der Kunst werden kann. (Dadurch
können selbst unge-
wollte Kratzer auf den Druckplatten in die Komposition
einbezogen oder einfach nur geduldet werden). Bei der Wiedergabe
von Kunst sind allerdings entsprechende Medien abhängig, was
dazu geführt hat, dass die Kunstgeschichte zur Geschichte der
Fotografierbarkeit und Reproduzierbarkeit von Kunst gerät.
Die Wiedergabe größerer Radierungen in kleinerem Maßstab kann
bei großer Liniendichte
der Originale ihrem Eindruck auf den Betrachter sehr wohl
Abbruch tun. Dagegen bringt die
Wiedergabe kleiner Formate in Originalgröße keinen derartigen
Verlust. Entsprechend treu
ist daher die Wiedergabe der kleinen Exlibris Drucke.
Die
Exlibris Eva Aulmanns zeigen eine besonders
erstaunliche Vielfalt an Ideen, die aus den persönlichen
Wünschen und Eigenheiten ihrer bibliophilen Auftraggeber heraus
von ihr sehr originell gestaltet wurden und werden. Die
Vorgehensweise ist somit eine völlig andere als bei ihren
Stillleben, bei denen es, so wie wir es von ihr kennen, in
erster Linie auf ein ausgewogenes kompositorisches Arrangement
bei deutlich erkennbaren Dingen ankommt. Dabei haben diese
Stillleben durchaus etwas von malerischer Atmosphäre bei
gleichzeitig äußerster Sorgfalt der Ausführung.
Ihnen gegenüber versetzen uns die Darstellungen zu Giovanni
Pestellis Schrift „Senza Titolo, ma con gli insetti" (Ohne
Titel, doch mit Insekten) in ihrer realistisch erscheinen Eva
Aulmann:
II torsolo - Der Strunk", 2009, Strichätzung, 305 x
310mm den Deutlichkeit in Erstaunen. Sie vermitteln mit dem
„Brustton der Überzeugung" das Bild einer Wirklichkeit, die es
in Wirklichkeit nicht gibt. Die dargestellten Insekten sind
glaubwürdige Erfindungen der Künstlerin Illustrierung eines
jeweils unglaubwürdigen Textes.
Man könnte einen Vergleich anstellen mit Teilen der Naturkunde
von Plinius dem Älteren, zu der Karl Georg Hirsch
Holzstiche machte. Während hierbei der Illustrator ebenfalls
wusste, dass seine realistischen Darstellungen einer realen
Wirklichkeit entbehrte also eine Art irrealer Wirklichkeit
darstelle glaubte der Verfasser, Plinius, an die
Richtigkeit der an uns mit seiner Schrift weitergegebenen
Information.
Anders verhält es sich mit den von Eva Aulmann
dargestellten Insekten in einer Radierung von 1997 (siehe Seite
17 ihrer Monographie Grafica, erschienen in der Edition
Curt Visel), wo exakte Darstellung und graphische Kunst an sich
gleichermaßen identisch sind und wir zuletzt nicht mehr wissen
wollen, ob sie „Wirklichkeit" oder Erfindung vorstellen.
Ihre bildhaften Personendarstellungen, mit Vornamen belegt wie
Anton , Frederik, Alfred scheinen
Portraits tatsächlich existierende Menschen zu sein und sind in
Wirklichkeit, wie auch
Der Doktor , pure Erfindungen.
Das trifft auch für viele andere Personendarstellunge zu, die
imaginäre Figuren sind. Sie vermitteln häufig das Gefühl, dass
dort eine uns fremde Person zu sehen ist, was anziehend oder
störend sein kann, interessant oder auch nicht. Ein schönes und
einprägendes Beispiel ist die Radierung Il Mago (Der
Magier), die mit sparsamen Mitteln einen leicht geneigten Kopf
fast en face, mit melancholischem und dennoch gleichzeitig
deutlich beobachtendem Blick zeigt. Ein paar Striche und ein
Schlagschatten machen eine hohe Magiermütze und andeutungsweise
eine Schulter sichtbar. Die treffsichere Knappheit in der
Zeichnung erlaubt eine Wiedergabe auch bei verkleinertem
Maßstab. Das gilt ebenfalls für ein neues Blatt, diesmal eine
farbige Radierung mit dem Titel L'Aquilone (Drachen),
die vielfältige Deutung zulässt. Das Bildmotiv zeigt am unteren
Rand, der rechten Blatthälfte zugehörig, die Stirn-Augenpartie
des Kopfes eines älteren Mannes, von dem sich ein drachenartiges
Wesen gelöst zu haben scheint, das gegen den oberen Teil des
linken Bildrandes hin im Flug erscheint. Beider Augen, die des
Mannes und die des Drachens, korrespondieren in Neigung und
Blickrichtung, dabei den Betrachter nicht ganz genau anschauend,
was eine gewisse irritierende Faszination hat. Ähnlich ist der
wie ein Geist im hellen Hintergrund der Radierung Der
wandelnde Vermittlungsausschuss
schemenhaft sichtbar werdende Kopf eines
Mannes. Sein Ausdruck, überlegen und weit blickend, steht in
völligem Kontrast zu einem Dutzend sich streitender Figuren und
Gesichter des düsteren Vordergrundes und macht den Unsinn bei
Auseinandersetzungen deutlich. Andere Arbeiten, ebenfalls
jüngeren Datums und in verwandter Technik und Kompositionsweise,
haben Titel wie: Sogni,
Il frutto proibito, II
torsolo, Il melo
proibito, La mela mangiata (Träume, Die verbotene Frucht,
Der Strunk, Der verbotene Apfelbaum, Der verspeiste Apfel).
Ausnahmen unter den bisher bekannten Radierungen der Künstlerin
sind noch immer Die große Strandkiefer und Der
Olivenbaum , beide
bereits 1997 geschaffen. Es sind dies so charaktervolle
Arbeiten, dass man von „Baumportraits" sprechen könnte, quasi so
wie Konterfeis von Personen.
Vielleicht dürfen wir hier, angesichts zunehmenden Bewusstseins
für unsere unverzichtbaren Lebensgrundlagen, noch einiges von
solcher Kraft und Schönheit erwarten.